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Russische Sabotage in Europa: "Unheimlich viele Nadelstiche"

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Russland greift Europas Staaten permanent mit hybriden Mitteln an, erklärt Sönke Marahrens, Experte für hybride Kriegsführung. Parallel plane der Kreml, diese Vorbereitungen zur Destabilisierung des Westens auch militärisch "abschließen" zu können.

Sönke Marahrens: Russland ist stark gebunden in der Ukraine und arbeitet mit hybriden Mitteln in den europäischen Ländern, um die Unterstützung für die Ukraine an der Front zu verringern.

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Parallel dazu hat Russland ein Interesse, dass Europa nicht stark ist. Deswegen werden derzeit sowohl die Institutionen NATO und EU, aber auch europäische Staaten permanent mit hybriden Maßnahmen angegriffen.

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Russische Operateure probieren in vielen europäischen Staaten sehr unterschiedliche Dinge aus, die individuell auf den jeweiligen Staat zugeschnitten sind: Hybride Maßnahmen, die in Polen wirken, wirken nicht in Deutschland; was in Deutschland wirkt, würde nicht in Finnland wirken.

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Hier geht es darum, den Staat in seiner Handlungsfähigkeit einzuschränken, aber auch das Vertrauen der Bevölkerung in den jeweiligen Staat zu senken.

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[Dazu kommen] Sabotageakte auf kritische Infrastrukturen, Cyberangriffe, Ransomware-Attacken. Damit kann die Wirtschaftskraft von Staaten geschwächt und auch Unsicherheit erzeugt werden.

Die letzte Gruppe ist die Bevölkerung. Da unterstützt Russland in der öffentlichen Debatte einander konträre Positionen. Das führt zu einer Radikalisierung - und irgendwann auch zu aggressiven Vorfällen.

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In Deutschland sehen wir etwa, dass Russland bestimmte Parteien mit Geld unterstützt und Ähnliches, um hier in die politische Meinungsbildung einzugreifen [...] Aber die gefährlichste Art der hybriden Kriegsführung ist Desinformation. Dadurch können Meinungen gebildet und Narrative gesetzt werden. Antisemitismus oder extreme politische Ideen können befeuert werden.

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Wir benötigen [um gegen Desinformation zu arbeiten] eine grundlegende Befähigung, mit Informationen umzugehen, insbesondere in den sozialen Medien. Da gibt es verschiedene Initiativen, Bürger und Bürgerinnen, insbesondere Jugendliche zu informieren und zu befähigen, Falschinformation, Desinformation, aber auch Informationen, die in einem falschen Kontext gesendet werden, als solche zu identifizieren.

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Cybersicherheit etwa ist kein Zustand, den sie erreichen können, sondern eine sich permanent dynamisch verändernde Lage. Was man heute abwehren konnte, wird morgen mit einer anderen Maßnahme erneut probiert. Und darauf muss man sich vorbereiten. Sie müssen sehr viel auf Flexibilität setzen.

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Da ist eine große Herausforderung [unsere physische Infrastruktur zu schützen]. [...] Auch hier geht es darum, sich für Auffälligkeiten zu sensibilisieren. Und in der Politik gibt es zurzeit die Diskussion darüber, was als kritische Infrastruktur definiert wird. Wie schützen wir das? Aber auch: Sollten solche kritischen Infrastrukturen ausfallen, welche Pläne haben wir dann in den Kommunen und in Firmen? Wir sind in Deutschland auf einem positiven Weg, wir haben das Problem erkannt.

Nur haben wir einen Gegner, den unsere ethischen Grenzen nicht interessieren und der in allen Bereichen unterwegs ist, dies schließt selbst die Ermordung von Regimegegnern in unseren Ländern mit ein.

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Der Plan ist [Russlands ist es], hybride Operationen auch mit militärischen Mitteln abschließen zu können, wie sie das nennen. [...] Schauen Sie sich an, wie die baltischen Staaten ihre Verteidigung aufbauen, wo wir ja mit einer Brigade in Litauen unterstützen. Dort versucht Russland, eine Schwachstelle im europäischen System zu finden, um dort Tatsachen zu schaffen, die Europa destabilisieren würden.

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Man hat ja auch schon [physische Infrastruktur] zerstört, vergangenes Jahr, als ein chinesisches Schiff mit dem Anker runter 200 Meilen rückwärts gefahren ist, um zu zeigen: Wir wissen, wo Schwachpunkte sind und wir gucken uns das ganz genau an. Es ist sogenanntes Signalling. Aber natürlich wissen sie damit auch, wo sie später einmal angreifen könnten.

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Russland bezweckt [mit dieser hybriden Kriegsführung], dass in westlichen Staaten der Blick sich weg vom Krieg in der Ukraine nach innen richtet. Dass diese sagen, wir müssen jetzt Ressourcen dafür einsetzen, dass wir unsere kritische Infrastruktur schützen - sodass wir dann weniger Möglichkeiten haben, die wir der Ukraine zur Verfügung stellen können [...] Aber sowas kann auch zurückfeuern [...] Das sieht man in den baltischen Staaten, aber auch in Schweden und Finnland. Als man anfing, Russland als Bedrohung wahrzunehmen, hat die Bevölkerung ja die Regierung unterstützt und gesagt: Wir wollen der NATO beitreten, wir wollen unsere Freiheit behalten - und hat damit das Gegenteil davon getan, was man sich auf der anderen Seite erhofft hat.

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